Elektronische Musik für SANDOZ-Pavillon an der MUBA 1970 Basel
Die Aufgabe, für den SANDOZ-Pavillon "Alchemie 70" eine elektronische Musik zu komponieren, war aus verschiedenen Gründen äusserst reizvoll.Vorallem bot sich (ähnlich wie bei der Musik, die ich für die EXPO70 Osaka konzipiert und komponiert habe) die Gelegenheit, nicht nur eine elektronische Musik, sondern auch das Instrument zu erfinden, das meine Musik wiederzugeben geeignet war. Galt es bei der STRAHLENDEN STRUKTUR in Japan, das Geäst eines stilisierten Baums aus Stahl und Aluminium von über 50 Metern Durchmesser und über 20 Metern Höhe mit wandernden, sich stets verändernden Klängen musikalisch zu beleben, so war es hier das Innere eines kreisrunden Pavillons, der auf drei Stahlpfeilern mitten über einer verkehrsreichen Strasse zwischen den Messege-bäuden aufgebaut war. Im Innenraum des Rundpavillons wurden fünf optische Programme gleichzeitig gezeigt.Jedem Programm war ein Kreissektor des Raums von 60 Graden mit peripher angeordneten Leinwänden zugeteilt, auf welche von einer im Zentrum des Raumes gelegenen Kabine projziert wurde. Auf einer kreisrunden, nach der Peripherie des Raumes hin abfallenden Treppe suchte sich jeder Zuschauer selber seinen Stehplatz vor der Leinwand, und er wechselte, sobald ein Programmdurchlauf beendet war, durch blosses Verändern seines Standortes zum nächsten Sektor bzw.Programm über.So war es jedem Zuschauer möglich, sukzessive sich alle fünf Progoramme anzusehen.
Optisch konnte das reibungslos vor sich gehen, ohne dass die fünf stets gleichzeitig vorgeführten Programme einander gestört hätten. Akustisch dagegen stellte der Umstand, dass sich alles in einem einzigen Raum ohne Trennwände zwischen den einzelnen Sektoren abspielte, grosse Probleme. Denn der Raum bildete in der Tat nicht fünf, sondern eine einzige akustische Sphäre. Und trotzdem waren fünf verschiedenartige optische Programme musikalisch individuell zu bereichern. Zudem waren starke Umgebungs-geräusche in Kauf zu nehmen, da der Raum , wie erwähnt, über einer verkehrsreichen Strasse gewissermassen schwebte.
Somit war es also unumgänglich, dass sowohl die Musik als auch ihr Wergabeinstrument sorgfältig zu konzipieren waren und folgenden Bedingungen zu genügen hatten:
1) Fünf verschiedene musikalische Abläufe müssen sich simultan zu einem Ganzen ergänzen.
2) Jeder dieser fünf musikalischen Abläufe hat in Funktion zu stehen zu dem ihm zugeordneten optischen Programm.
3) Die Musik hat so beschaffen zu sein, dass sie gegen Umweltsstörungen von relativ hohem Pegel (Strassenverkehr, Publikum) unanfällig ist.
4) Die kurzen Sprachkommentare, welche für jeden der fünf Programme vorgesehen sind, sollen weder störend von dem einen auf die übrigen Sektoren einwirken noch durch die Musik der andern Sektoren in ihrer Verständlichkeit beeinträchtigt werden.
Folgendes ist die Lösung, zu der ich gekommen bin:
1) Die fünf verschiedenen musikalischen Abläufe werden als Schichten einer musikalischen Einheit aufgefasst;damit stören sie sich nicht, sondern sie ergänzen sich gegenseitig zu einem musikalischen Ganzen.
2) Jede dieser musikalischen Schichten ist dennoch so angelegt, dass sie sich an das ihr zugehörige optische Programm anschliesst und es zu typisieren vermag;die fünf musikalischen Schichten müssen sich daher von einander stark unterscheiden.
3) Die Lautsprecher sind peripher angeordnet und so gerichtet, dass die Reflexion durch die nach unten gewölbten Decke des Raumes maximal ausgenützt werden kann.Der Hörer befindet sich vor dem Bildschirm stets näher bei einem bestimmten Lautsprecher als bei allen übrigen, und dementsprechend hört er eine musika-lische Schicht lauter als alle übrigen; nämlich diejenige, welche zum Bild gehört, das er gerade sieht.
4) Durch Standortwechsel wird sich der Hörer inbezug auf die fünf Lautsprecher automatisch neu plazieren und daher auch jedesmal einen andern Aspekt der Musik hören.Das heisst, die Musik wird für den Hörer wechseln je nach dem optischen Programm, das er sich gerade ansieht.
5) Die Musik als Ganzes ist in ihren Frequenzbändern und ihren Hüllkurven so konzipiert, dass sie die von Aussen kommenden Störgeräusche mit einbezieht oder überdeckt.
6) Die Sprachkommentare werden lippensynchron zum Bild über getrennte Kanäle geführt und über separate Lautsprechersysteme abgestrahlt, die bei schwacher Energie eine absolute Lokalisierung der Information auf den jeweiligen Sektor garantieren.
Der Effekt, den diese vielbeachtete Musik an Ort und Stelle hervorrief, hat nicht nur die Originalität, sondern vorallem auch die Richtigkeit meiner Konzeption vollauf bestätigt.