Biographie

Werner Kaegi (17. Juni 1926) ist Schweizer Komponist zeitgenössischer Musik. In den sechziger Jahren war er Pionier der elektronischen Musik in seiner Heimat. Im Jahre 1971 verliess er die Schweiz und wurde leitender Mitarbeiter am bekannten Instituut voor Sonologie in Utrecht, Holland. In dieser Zeit entwickelte er das Klangsynthesesystem VOSIM und das MIDIM programm für Komputerkomposition.

Jugend

Kaegi wurde geboren in Uznach im Kanton St.Gallen wo er seine frühe Jugend verbrachte. In seinem Elternhaus kam er schon jung mit klassischer Musik, moderener Kunst und Literatur in Berührung. Sein Vater war Landartzt und leidenschaftlicher Amateurgeiger. Seine Mutter interessierte sich für avangardistische Kunst und nahm den kleinen Werner oft mit zu Ausstellungen im regen Zürich.  

Er und seine Geschwister folgten alle Musikunterricht, Werner übte sich in Klavier und der Klarinette. Jeder freie Augenblick wurde musiziert, sein Bruder auf Bratsche und Flöte, seine Schwester ebenfalls auf dem Klavier. Werner adaptierte manches Stück für die vorhandenen Instrumente. Hauskonzerte wurden ausgeschrieben mit farbigen, selbstgemalten Plakaten.

Das Komponieren und Arrangieren geht bei Kaegi in seine frühe Kindheit zurück. Er scheint vor er Buchstaben schreiben konnte, eine eigene Notenschrift entwickelt zu haben um seine musikalischen Gedanken festhalten zu können. Bei seinem erstem Klaviervorspiel als junger Bube überraschte er seine Hörer mit eigenen Improvisationen und nicht dem einstudierten Repertoire.

Werner Kaegi verbrachte die Kriegsjahre in der Evangelischen Lehranstalt Schiers im Prättigau. Dort vertiefte er sich leidenschaftlich in die klassische Antieke, Latein und Griechisch und natürlich wird auch hier viel musiziert. In seiner Gymnasiumzeit entstehen seine frühen Lieder.

Studien in Zürich, Basel, Heidelberg und Paris

Nach Abschluss seiner Matura zog er nach Zürich und Basel um Klavier, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und mathematische Logik zu studieren. In 1951 absolvierte er seine Doktorarbeit mit einer mathematischen Studie von Bach's Inventionen und Fugen (Die simultane Denkweise in J.S. Bachs Inventionen, Sinfonien und Fugen, 1952)

Ab 1951 studierte er beim grossen Paul Hindemith, der damals in Zürich lebte und wurde für kurze Zeit sein Assistent. Er reiste nach Heidelberg und in 1953 nach Paris, wo er Komposition studierte bei Arthur Honegger und Louis Aubert. Über den Pariser Rundfunck kam er in Kontakt mit den Pionieren der elektroakustischen Musik, Pierre Schaeffer und der Musique Concrète. Sein Geld verdient der junge Komponist mit arrangieren, ghostwriting und Klavierspielen. Er tritt regelmässig am Radio Zürich auf und wird Teil des Cabaret Rüeblisaft als Hauspianist und Komponist. Als freischaffender junger Avantgarde-Komponist wird er immer öfter aufgeführt, sowohl in der Schweiz als auch im Ausland. 

Centre de Recherches Sonores

Von 1963 bis 1970 arbeitete Kaegi am Centre de Recherches Sonores, dem Studio für elektroakustische Musik von Radio Suisse Romande in Genf. Dort begann er, elektronische Musik und Tonbandmusik zu komponieren, darunter Stücke wie Suisse vigilante (1963), Éclipses (1964) und Entretiens (1965). Am C.R.S. schuf Kaegi mehrere radiophonische Werke, wie La Porte Noire (1964) und Zéa (1965).

 

     

Neben grossen Orchesterwerken, sucht er immer mehr die Grenzgebiete auf: Er verbindet Jazz mit Symphonik, Sprache mit Klang, Instrumente mit dem Lautsprecher und ist immer mehr auf der Suche nach neuem Klangmaterial. Es entstehen Concerto für Jazzquartett und Streicher (1959), Mystic Puzzle 2, für Jazzensemble und Tonband (1966), Magna Voce ad te dominum clamo (1967), Entretiens Solitaires (1968), Hydrophonie (1969), Thai Clarinet (1970) und Kyoto (1970). Der Radio bietet Kaegi nicht nur die technischen Möglichkeiten vom Radiostudio, sondern gibt ihm auch Zugang zum Radio-Orchester, mit dem er neue Wege ausprobieren kann. Aus dieser Zeit stammt die jahrenlange Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Jazz-klarinettisten und Bandleader Luc Hoffmann, für den er verschiedene Werke geschrieben hat.

Obwohl Kaegi in den fünfziger und sechziger Jahren noch viele traditionelle Kompositionen schrieb, lag sein Hauptinteresse bei den Neuentwicklungen. Er vertiefte sich in die Geheime der damaligen Radiotechnik und experimentierte wo immer möglich, teils in seinem eigenen Studio in Zürich, sowiel auch bei Radio Genf.

"Was ist elektronische Musik?"

Diese Frage war nicht nur in seinen musikalischen Werken der sechziger Jahre von zentraler Bedeutung, sondern sie wurde auch zum Titel des sehr einflussreichen Buches, das Kaegi in 1967 veröffentlichte und das noch viele Jahre als Bibel der elektronischen Musik bekannt blieb. 

Diese Periode endete 1971 mit der Veröffentlichung von Kaegis einzigartiger Plattenveröffentlichung, einer 7-Zoll-Platte mit dem Titel Vom Sinuston zur elektronischen Musik. In dem 12-seitigen Begleitheft analysiert Kaegi die Grundbestandteile elektronischer Musik wie Sinus, Klangsynthese, Ringmodulation oder elektronischen Oszillator, wobei auf der CD Klangbeispiele sowie Auszüge aus seinen neuesten Werken der damaligen Zeit. Diese Publikationen entstanden durch die vielen Stunden die Werner im Studio von Radio Genf verbracht hatte, aber auch durch seine metikulösen Studien des Klangs. Es legte damit die Grundlage für die Entwicklung des VOSIM-modells.

Weltausstellung Osaka 1970

Im Jahre 1970 gewann Kaegi den Schweizer Wettbewerb für die Sonorisierung des Schweizer Pavillions für die Weltausstellung in Osaka. Er schuf dazu Illumination Expo'70 Osaka, ein rein elektronisches Werk, das über hunderte von Lautsprechern aus einem riesigen Aluminiumbaum ausgestrahlt wurde. Sich dauernd verschiebende unendliche Tonspuren begleiteten ein Lichtspiel von unzähligen Glühlampen. Das Stück war ein Auftragswerk von der Schweizer Regierung. 


      

Instituut voor Sonologie

1969 wurde Kaegi von Gottried Michael Koenig eingeladen, am fortschrittlichen Utrechter Institute of Sonology (ehemals STEM) in den Niederlanden zu komponieren, wo er die Tonbandmusik der Hydrophonie I schuf. Das Institut bot ihm technische Möglichkeiten, wie Voltage-control und Digitalisierung, die in der Schweiz zurzeit nicht vorhanden waren. 

Bald wurde er Mitglied der wissenschaftlichen Leitung und bekam eine feste Anstellung als Wissenschaftler. Am Institut arbeitete Kaegi als Komponist, Forscher und Dozent auf dem Gebiet der elektronisch erzeugten Musik und Komposition. Seine anspruchsvollen, aber farbigen Vorlesungen zogen nicht nur Holländische doch vor allem auch ausländische Studenten und Komponisten an. Zu seinen Studenten zählten unter anderem Benno Ammann, Lasse Thoresen, Jos Janssen, Cort Lippe, Kathleen St. John, Trevor Batten und Pierre van Berkel. Er reiste in den siebziger Jahren zu allen wichtigen Kongressen dieser Materie und war ein viel gefragter Sprecher. Er entwickelte eigenständige Visionen über die Zukunft der Musik und der Weise wie sie sich mit der Technik verbinden könnte und sollte.

Die Erfindung des VOSIM-Signals

Schon in seinem Buch aus 1967 veröffentlicht Kaegi den Gedanken, dass musikalische Klänge auf Sprachfomanten und damit Vokalklänge zurückgeführt werden können. In Experimenten in denen er natürliche Signale reduzierte konnte er zeigen, dass nur ein kleiner Teil des Signals zur klaren Erkennung des Klangs notwendig ist. Und umgekehrt, dass auch relativ einfache künstlich generierte Signale zu einer deutlichen Klangerkennung führen. Diese Datenredukzion war die Grundlage für die Entdeckung des VOSIM-Signals, das Kaegi erst in den analogen Studios vom Institut durch Voltage-control realisieren konnte. Der Name VOSIM, das für VOice SIMulation steht, wiederspiegelt ganz deutlich den von Kaegi angedeuteten Zusammenhang zwischen Musik und Sprache. Die Finanzierung des Untersuchs war möglich Dank eines Zuschusses des Fonds Nationale Suisse (Das Problem der mentalen Codierung und Decodierung von musikalischer Information, Fonds National Suisse, 1975 Project 1.559-0.71).

VOSIM durchbrach die zurzeit allgemein gepflegte Auffassung, dass Klangsynthese von komplexen, steuerbaren Klängen nur additiv, also durch Zusammenstellung von Fourierkomponenten, d.h. Sinutönen möglich sei und darum mit der damaligen analogen Technik ausserordentlich schwierig realisierbar sei. Kaegi demonstrierte schon um 1970 von ihm im analogen Studio generierte Sprachklänge mit deutlich hörbaren Vokalen und kurzen Wörtern wie Mama. Er publizierte seine Entdeckungen nicht nur in Artikeln in der Zeitschrift Interface (A new approach to a theory of sound classification, Interface 1972; A minimum description of the linguistic sign repertoire, Interface 1973 & 1974), sondern präsentierte Klänge an manchen Kongressen in der ganzen Welt.

Das VOSIM-Modell wurde 1976 von Kaegi, zusammen mit seinem Mitarbeiter Stan Tempelaars publiziert (VOSIM-A new sound-synthesis system, Interface 1976). In dem Artikel wird gezeigt wie das VOSIM-Signal zu einem energiereichen Spektrum führt, das einen Formanten beinhaltet. VOSIM wurde in den USA als eines der wichtigsten Klangsynthesesystemen angesehen.

Klangsynthese mit dem Computer

Schon etwa 1970 war deutlich, dass die moderne Klangsynthese nur mit digitaler Technik weitere Forschritte erreichen könnte. Das Institut für Sonologie erwarb sich einen DEC PDP-15 Computer, damals eine sehr kostspielige Anschaffung, die jedoch die Forschung in schnellen Schritten vorantrieb. Es wurden zwei Computer-gesteuerte digitale VOSIM-Generatoren gebaut, die synchronisiert funktionnierten und die Zwei-Formantigen Klänge generieren konnten. Kaegi und seine Mitarbeiter vertieften sich eingehend in die notwendigen Programmiersprachen und bauten Steuerungssysteme die die Hardware kontrollieren konnten. Kaegi arbeitete mehrere Jahre an seinem MIDIM-System, dass dem Künstler ein ganz neues Instrument in die Hände geben sollte. Der Gedanke dabei war, dass der Komponist zwar sein eigenes Instrument schafft, aber wenn das einmal definiert ist, es weiter seine klangliche Erkennbarkeit behält, so wie das auch bei akustischen Instrumenten der Fall ist.

 

Computerkompositionen

Mit dem Umzug nach Holland hatte Kaegi seine kompositorischen Tätigkeiten völlig niedergelegt. Die Beschränkungen der traditionellen Instrumente und des Orchesters brachten ihn zur tiefsten Überzeugung, dass neue Wege gesucht werden müssten zur Entschliessung der Klangräume der Zukunft. Die VOSIM-Generatoren, die das technische Team der Universität in einer volldigitalen Version ausgeführt hatte, gaben ihm die Möglichkeit um neue Klänge auf eine kontrollierbare Weise zu generieren. Als sein Kompositionsprogramm MIDIM genügend gereift war, wendete er sich mehr und mehr wieder dem Komponieren zu. Es entstanden Consolation (1978, drei Teile: In memoriam, Automne und Vers d'autre Jeux), Dialogue () und Ritournelles für Sopran und Computer, die sowohl in Holland als auch im Ausland vielfach aufgeführt wurden.

Die MIDIM Gruppe

Das Institut voor Sonologie gewann derzeit an Bekanntheit und zog viele junge Kompnisten an aus der ganzen Welt. Nach den morgendlichen Vorlesungen vertieften die Studenten und Komponisten sich am Nachmittag in die Anwendung der "MIDIM-Sprache" am Computer, meistens unter der Leitung der Assistenten Paul Goodman und Jos Janssen. 

Ab 1981 begann eine Gruppe internationaler Studenten, Komponisten und Künstler, in der sogenannten MIDIM-Gruppe zusammenzuarbeiten. Viele Kompositionen und Performances wurden als "assoziative Computermusik" geschaffen. Es fanden surrealistische und dadaistische Sitzungen statt, bei denen die Mitglieder ihren spontanen Inspirationen a la écriture automatique folgten, um Stücke direkt in den Computer zu komponieren, Gedichte auf die Bühne zu schreiben und Bilder in einem Fluss zu zeichnen. Zwischen 1981 und 1991 organisierte die MIDIM-Gruppe zahlreiche Konzerte, in denen die Interaktion zwischen verschiedenen Kunstdisziplinen in Museen (wie dem Stedelijk Museum in Amsterdam), Konzertsälen (Muziekcentrum Vredenburg in Utrecht) und Kirchen (Domtoren Utrecht) experimentiert wurden. Die Gruppe bestand aus Kaegi selbst, Paul Goodman, Jos Janssen, Pierre van Berkel, Pieter Kuipers und Heinerich Kaegi (Werners Sohn). Viele andere traten vorübergehend der Gruppe bei. 

Sonology Den Haag

Obwohl das Institut für Sonolgie in Utrecht sich immer grösserem Zufluss von Studenten und Künstlern aus der ganzen Welt erfreuen konnte, wollte die Utrechter Universität das Institut nur aufrecht erhalten im Rahmen einer Fakultät. Der interdisziplinarische Karakter machte das jedoch unmöglich. 1986 wurde das berühmte Institut in Utrecht geschlossen und offiziell an das Königliche Konservatorium von Den Haag verlegt. Die alten DEC-Computer wurden verschrottet.

Viele der führenden Mitarbeiter wie Werner Kaegi, Michael Koenig und Frits Weiland sahen keine Rolle für sich in diesem Wechsel und verließen das Institut. Einige Jahre führte die MIDIM-Gruppe die Forschungsaktivitäten auf privater Ebene fort, was durch kleine Computersysteme wie Atari ST möglich wurde. Konzerte wurden bis 1991 in ganz Holland mit Projektfinanzierungen organisiert.

Im Jahr 1987 wurde Kaegi beim 15. Elektro-Akustikwettbewerb von Bourges im französischen Bourges für sein Stück Ritournelles für Sopran und Tonband ausgezeichnet. Seit 1986 reist Kaegi zwischen Utrecht und Südfrankreich. In den letzten Jahren konzentriert er sich hauptsächlich auf seine Schriften.